Österreich und die kritische Infrastruktur

Spätestens seit März 2020 denkt jede Österreicherin und Österreicher das sie Teil der kritischen Infrastruktur und damit #systemrelevant sind. Jeder ist wichtig, alle sind wichtiger, alle Österreicherinnen und Österreicher sind für die Aufrechterhaltung des Betriebes „Österreich“ zuständig. Alle Menschen in diesem Land fühlten sich zu dieser Zeit dazu berufen andere zu beglückwünschen, wie wichtig sie sind. Die wichtigen Systemerhalten erhielten endlich die notwendige Anerkennung und vor allem Entschädigung für die Systemerhaltung. Es wurde geklatscht. Es wurde ein paar Wochen lang geklatscht und gesungen. Oh Wait. Genügt das den Systemerhaltern wirklich? Zum Zeitpunkt des Blogpostings wissen wir, dassnur solange geklatscht und gesungen wurde auf unseren Straßen wie es die Temperaturen zugelassen haben. In den kalten düsteren Wintermonaten war es ruhig um 18:00 Uhr auf unseren Straßen. Die Systemerhalter in diesem Land haben dennoch mit unermüdlichen Einsatz für die Aufrechterhaltung des Betriebes Österreich gearbeitet, geschuftet und – je nach Branche – unmenschliches geleistet.

Die Frage nach der Wichtigkeit des Berufs

Ganz dünnes Eis, meiner Meinung nach. Ganz schweres Thema. Welche Berufsgruppe wird über eine andere gestellt. Die #KRITIS Insider wissen es schon länger. Wir leben in einer komplexen stark vernetzten Welt mit enorem gegenseitigen Abhängigkeiten. Berufsgruppe 0, als jene die absolut wichtig und notwendig für alle ist, werden wir in diesem Blogbeitrag nicht identifizieren können. No way. Vielmehr möchte ich dir einen kurzen Einblick und eine kurze Erklärung geben.

Während der C-Pandemie rückte der Handel in die Öffentlichkeit. Der Handel sei systemrelevant. Ohne Handel keine Lebensmittel. Ohne Lebensmittel kein Leben. Wow. Wir mussten in eine Pandemie schlittern, um zu erkennen, dass wir etwas kaufen müssen. Gratulation liebe Menschen auf der Erde.

Bevor der Handel in die Öffentlichkeit gepushed wurde, erlebten andere Berufsgruppen das Corona-Virus schon viel intensiver. Pflegekräfte und medizinisches Personal aller Art war schon länger gefragt. In den Krankenhäusern und Pflegeheimen war das Thema schon allgegenwärt. Bevor die Leistung in die Öffentlichkeit rückte. Die Menschen in diesem Land fühlten sich dazu berufen Prognosen und die Arbeitsweise in den medizinischen Häusern in Österreich zu kommentieren und vor allem zu bewerten. Positiv an dieser Entwicklung ist, dass der Beruf direkt am Menschen wichtig und vor allem systemrelevant ist. Ohne Pflegekräfte, ohne med. Personal aller Art funktioniert unser Land nicht. Reicht klatschen für die Leistung, die tagtäglich – mit und ohne Pandemie – geleistet, wird tatsächlich aus?

Was wird bleiben?

Werden Handel und Pflege endlich für die Leistung entsprechend belohnt werden? Wird der Mensch die Leistung und vor allem die Loblieder und das Klatschten für die Kassenkraft im Supermarkt nachhaltig im Gedächtnis bewahren? Oder erleiden medizinische Berufe ähliche Schicksale wie freiwillige Einsatzkräfte nach überregionalen Katastropheneinsätze? Wir werden es sehen, auch wenn ich mir der Antwort auf diese Frage schon sehr sicher bin.

Ich bin kritische Infrastruktur. Ich bin #systemrelevant.

Beruflich bin ich in einem der klassischen kritischen Infrastruktur Betrieb tätig. Daher war es von Anfang an klar, dass Teile(!) meines Unternehmens als #systemrelevant und/oder systemerhaltend deklariert sind. Zu meiner Überraschung wurden viele meiner Bekannten von ihren Unternehmen als #systemrelevant eingestuft und wurden mit Passierscheinen ausgestattet.

Zu Beginn der Pandemie herrschte die Angst, dass Teile von Österreich hermetisch abgeriegelt werden. Einige zeichneten Horror-Szenarien wo Soldaten – schwer bewaffnet Zivilisten am Weg zur Arbeit hindern werden. Ist halt auch eine Sache der geistigen Haltung, Einstellung und (nicht) vorhandenen Realismus. 😉

Technische sowie kaufmännische Angestellte aus den unterschiedlichsten Bereichen und Techniker aller Art wurden mit derartigen Scheinen ausgestattet. Nur damit sie ja sicher in die Arbeit kommen können. Ich war von Beginn an verwundert, wer aller #systemrelevant ist.

Selbst wenn der Dienstgeber Teil der kritischen Infrastruktur ist, warum ist dann der siebente Zwerg von links auch systemrelevant und kann nicht im Homeoffice arbeiten? Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt einen Shitstorm auslöse. In einer Pandemie, sollten wir doch alle unseren Beitrag zur Eindämmung leisten und vor allem jene Tätigkeitsfelder tatsächlich von der Front weghalten. Müssen Menschen in diesem Land die Rechnungen bzw. Mails tatsächlich vom Büro aus schreiben, oder könnten diese Tätigkeiten auch im Homeoffice erledigt werden? Anstelle der Verteilung der Systemrelevanz mittels Gießkanne, hätten die Organisationen sich die Arbeit antun können und Berufsgruppen innerhalb priorisieren können. Ja, das ist ein Aufwand. Das Ganze hätte jedoch einen anderen (netten) Nebeneffekt:

  • Konzentration der Organisation auf das Kerngeschäft
  • Der Begriff der Systemrelevanz wäre nicht in diesem Ausmaß strapaziert worden
  • Wir hätten vielleicht eine österreichische Impfstrategie in der die kritische Infrastruktur noch erwähnt wird.

Die ganze Situation und Diskussion zum Thema #systemrelvanz, kritische Infrastruktur und öffentliches Interesse zeigt etwas anderes. Kommunikation und Vermittlung von Allgemeinwissen findet in diesem Land fast ausschließlich über den Boulevard statt. Wissens- bzw. Wissenschaftskommunikation nur sehr eingeschränkt fast unentdeckt von der breiten Masse. Ja, man ist ein kleiner Außenseiter, wenn man mit Fakten argumentiert.


In der komplexen und stark vernetzten Welt ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir uns den Fakten und den Abhängigkeitsverhältnissen widmen. Verwundbarkeiten aufzeigen und der breiten Masse verständlich erklären. Es ist auch ein unterschied mit welchen Krisen- / Katastrophenszenario ich aktuell beschäftigt bin. Medizinisches und/oder Pflegepersonal ist immer für die Gesellschaft wichtig. Warum klatschen wir?

Ein paar weiterführende Gedanken

Die Corona-Pandemie hat in der Tat vieles ans Tageslicht gebracht. So hatte das Bundesministerium für Landesverteidigung immer wieder den Ausbruch einer Pandemie als Risiko am Monitor. Unbeobachtet von der Öffentlichkeit. Im Zuge meiner Aus- und Weiterbildungen im Krisenmanagement waren Pandemien und Krankheitsausbrüche immer wieder einmal Thema. In der Planspielvariante hat mir eine Pandemie jedenfalls besser gefallen 😉

Der Begriff kritische Infrastruktur wurde offenbar salonfähig. Für die Öffentlichkeit ist es keine Blackbox mehr. Es fühlt sich mittlerweile jeder dazu berufen Themen und Aufgabengebiete der #KRITIS zu kommentieren, bewerten und vor allem öffentlich zu verbessern. Das Thema kritische Infrastruktur ist viel weiter gestrickt als die breite Masse denkt ist klar. #KRITIS ist genauso komplex wie unsere Welt.

Klatschen hilft niemanden. Ein Umdenken bei den Themen Abhängigkeiten, Ausfallsicherheiten, Reservenbildung und Notvorräte ist unbedingt in der breiten Masse notwendig. Lesenswerte Hintergründe und Informationen dazu findest du auf der Seite von Herbert Saurugg -> www.saurugg.net

Da wäre dann noch die österreichische Impfstrategie

Twitterfollower werden es mitbekommen haben. Die Verantwortlichen in diesem Land haben die Impfstrategie mehrmals adaptiert. In der letzten Version wurden einige Personengruppen „entfernt“. So finden sich darin weder Einsatzkräfte noch Feuerwehren. Der Bund hat es sich hier sehr einfach gemacht und auf die Kompetenz der Länder verwiesen. Vielleicht gibt es zum Thema Feuerwehr und Impfen mal ein anderes Blogposting.

Interessanterweise findet sich in der nationalen Impfstrategie die kritische Infrastruktur nicht mehr. Dafür haben wir in Österreich jetzt eine essentielle Imfrastruktur. Why? Aus dem europäischen bzw. österreichischen Programm zum Schutz der kritischen Infrastruktur (you read ist 😉 ) kann ich die essentielle Infrastruktur nicht ableiten.

Möglicherweise haben sich #KRITIS – Insider die letzten Jahre etwas falsches angeeignet bzw. sind wir mit einem falschen wording durch die Organisationen gependelt.

Was weiß der noname – Blogger @dermikemeier schon 😉

bis demnächst in diese Theater.

stay safe and make some noise.

meier & out

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