Das Sicherheitsparadoxon
Wir müssen aus sofort raus aus unserem Sicherheitsparadoxon. Sofort! Es ist an der Zeit ein wenig über Sicherheit, Risikowahrnehmung, Sicherheitskultur und meine dazugehörigen Gedanken zu plaudern.
Der Mensch neigt dazu Dinge nicht immer so zu sehen wie sie wirklich sind. Diese Art der Realitätsverzerrung birgt große Gefahren. Viele von uns haben nie gelernt die Dinge um die Ecke zu denken, Verbindungen zu erkennen und kleine Warnsignale ernst zu nehmen.
Das tatsächliche Risiko rückt oftmals in den Hintergrund. Warum? Eigentlich eine einfache Erklärung: In der Vergangenheit hat das System funktioniert und die vermeindlichen Risiken hatten zu keiner Fehlfunktion geführt. Funktionieren Systeme weiter bzw. treten mögliche Zwischenfälle (lange) nicht ein, neigt unsere Spezies dazu Risiken zu vernachlässigen bzw. gänzlich auszublenden.
Dies führt in der Folge dazu, dass wir getriggert vom Effizienzsteigerungswahn mit dem Sparen beginnen. Deadlines, Budgets und Reportings sind von da an unsere Trigger. Wir verlieren den Blick auf die gefährlichen Tipping-Points.
Das führt unter anderem dazu, dass Redundanzen & gerne Weiterbildungen einfach gestrichen werden. Die Apparate rund um unsere Vorhaben blähen sich auf und wir werden durch Zahlen und Daten getriggert. Die Fakten werden dabei oft vernachlässigt, weil eben Szenarien nicht eintreten.
In der Vergangenheit führte dies schon zu mancher Katastrophe. Zwei tragische Zwischenfälle aus der Raumfahrt demonstrieren dies leider sehr deutlich.
Die Unglücke der Raumfähre Challenger und Columbia veranschaulichen leider sehr deutlich, dass Erfolg gefährlich ist. In beiden Fällen warnten Ingenieure vor etwaigen negativen Folgen. Da bei beiden Unglücken auslösende Elemente immer wieder auftraten – jedoch nichts gravierendes passierte, wurden die Missionsverantwortlichen nachlässig.
In beiden Fällen zeigten Beinaheunfälle / Near Misses Fehler im eigentlichen System auf. Risikoanalysen wurden verworfen – immerhin glückten die vorangegangen Missionen ja auch.
Ich bin auch der Meinung, dass wir nicht unbedingt in die Raumfahrt sehen müssen. Sie sind nur „große“ Ereignisse, die wahrscheinlich viele Menschen mitverfolgt hatten. Treten in funktionierenden Systemen Abweichungen auf, müssen die Warnsignale ernst genommen werden. Rückfallebenen sind gut und wichtig, dürfen jedoch nicht strapaziert werden.
Wenn etwas lange gut geht bzw. Rückfallebenen selten bis kaum gebraucht werden neigt unsere Gesellschaft dazu diese Dinge wegzurationalisieren. Im Ernstfall mit fatalen Folgen.
Einige greifbarere Beispiele für ein schwindendes Risikobewußtsein sind unter anderem:
- Verwendung von persönlicher Schutzausrüstung: Die Schnittschutzhose bei Arbeiten mit Motorkettensägen wird oftmals von AnwenderInnen weggelassen. Die Begründungen sind oft ähnlich: […] Ich schneide schon so lange und nichts ist passiert […] Ich kann das und ich bin vorsichtig […] Es ist nur der eine Schnitt […]. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von Schutzbrillen aller Art. Unsere Augen können leicht verletzt werden. Verletzungen der Augen können relativ schnell dazu führen, dass wir das Augenlicht verlieren. Dennoch beobachte ich sowie viele andere Safety-Kollegen, dass die Verwendungsmoral verbesserungsfähig ist. Auch in diesem Fall klingen die Erklärungen ähnlich: […] Ein kurzer Schnitt, da passiert nichts […] ich habe das gelernt und schon oft derartige Arbeitsschritte gemacht […] ich schaue doch nur kurz hinein […] ich passe schon auf […]
- Einsparung von Redundanzen. Viele Redundanzen wurden in einer Lebensphase vor dem Produktivitätswahn implementiert. In vielen Fällen wurden Mittel aller Art ausreichend bereitgehalten. Auch wenn es Geld kostete. Im Zuge von Reorganisationsmaßnahmen fallen die Redundanzen. Bereitgehaltene Mittel werden ausgelagert bzw. aufgelassen. Personal wird reduziert und Rufbereitschaften minimiert. Das Ganze wird oftmals mit Kosteneffizenzmaßnahmen erklärt. Mit unter Umständen fatalen Wirkungen. Die Corona-Pandemie sowie die Wetterextreme zeigen die enorme Verletzlichkeit unseres Systems Leben.
- Aus- und Weiterbildung hinsichtlich Notfall- und Sofortmaßnahmen. Notfall-Teams müssen regelmäßig auf den schlimmsten Notfall vorbereitet sein. Das bedeutet laufend Aus- und Weiterbildung, Training, Übung sowie Praxis- und Theorieeinheiten. Derartige Teams müssen in der Lage sein, Notfallszenarien schnell und kompetent abzuarbeiten. Nur dadurch können Menschen und Sachwerte geschützt werden. Keine Feuerwehr würde auf die Idee kommen, Brandbekämpfungsübungen zu streichen nur weil sich das Einsatzspektrum die letzten Jahre geändert hat.
Nur weil Risiken, welche im Vorfeld definiert wurden, lange nicht eintreten bzw. nur abgeschwächt eintreten, dürfen wir Menschen sie nicht aus den Augen lassen. Sie müssen immer am Radar bleiben und so gut es geht vermindert werden. Immer am Ball bleiben, immer versuchen gefährliche Situationen auszuschalten. Ist dies nicht möglich muss immer eine funktionierende Schutzebene vorhanden sein. Auch wenn diese in 9 von 10 Fällen Geld bzw. Zeit kostet.
Die gefährliche Realitätsverzerrung, die uns in ein Sicherheitsparadoxon führt, ist gefährlich. Nichts ist schlimmer, als wegrationalisierte bzw. nicht vorbereitete Hilfsmittel – aller Art – in der Situation wo sie benötigt wird.
Wie kommen wir nun gemeinsam aus diesem Sicherheitsparadoxon heraus?
- Klares Sicherheitsheitsbewusstsein. Wir müssen uns der Themen im klaren sein was alles schief laufen kann.
- Monitoring von Abweichungen, auch und vor allem wenn sie gut gegangen sind. Auffälligkeiten herausarbeiten, Maßnahmen ableiten um diese Abweichungen in der Zukunft zu minimieren bzw. gänzlich auszuschließen
- Ständige Bereithaltung und Aufrechterhaltung der „installierten“ Sicherheitsnetze. Rückfallebenen dürfen keinesfalls wegrationalisiert werden.
- Training. Training. Training. Training der theoretisch möglichen Szenarien. Menschen müssen wissen was im Fall X zu tun ist.
Bis demnächst in diese Theater.
stay safe and make some noise.
meier & out